ERINNERN:
27. Januar 1945: Soldaten der Roten Armee befreien die zurückgelassenen Überlebenden des Konzentrationslagers
Auschwitz-Birkenau und beenden deren Martyrium.
BETRAUERN: Im Jahr 2008 richteten wir, der
Landesverband Sozialpsychiatrie, der Landesverband der Psychiatrie-Erfahrenen und der Landesverband der
Angehörigen und Freunde psychisch Kranker, in Stralsund die erste Gedenkveranstaltung für die Menschen aus, die
aufgrund einer geistigen Behinderung oder psychischen Krankheit zu Opfern des Nationalsozialismus wurden, um
ihrer selbst und ihrer Angehörigen zu gedenken und um sie zu trauern. WACHRÜTTELN: Angesichts heutiger rechtsextremer Bewegungen in Politik und Gesellschaft wollen wir mit unseren Veranstaltungen dafür sensibilisieren, dass sich solche Ideologien in der Gesellschaft, aber auch in Lehre und Forschung nie wieder verfestigen und sich die Greueltaten aus unserer Vergangenheit nicht wiederholen können. SANDRA RIECK |
Sehr geehrte Frau Rieck,
sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Gramkow,
sehr geehrter Herr Stadtpräsident Nolte,
sehr geehrte Damen und Herren,"Die kaltblütige, willkürliche und systematische Vernichtung von Millionen hilfloser Zivilisten ... ist eine Geschichte, für die uns die Worte fehlen.... Diese Taten übersteigen jedes Maß, sie spotten jeder Beschreibung, ihre Einzelheiten machen uns sprachlos." - Diese Aussage seitens des Anklägers im Eichmann-Prozess, Gideon Hausner, ist aus der Unmittelbarkeit des Erlebten nachvollziehbar, aber Sprachlosigkeit ist keine Methode, den Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begegnen.
Der heutige Tag dient dem Gedenken an die Opfer dieser furchtbaren Taten. Von diesem Gedenken muss aber auch eine Botschaft für Gegenwart und Zukunft ausgehen, die als klare Absage an Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verstehen ist. Oder, - um es mit dem Motto dieser Veranstaltung zu sagen:" Wir wollen Erinnern und Betrauern und auch Wachrütteln"
Die Katastrophe, über die wir heute sprechen, wurde nicht von elementaren Naturgewalten, sondern von Menschen entfesselt. Das darf nie wieder zugelassen werden. Darin ist sich eine überwältigende Mehrheit im Land einig.
Über die Frage wie eine solche Absichtserklärung umzusetzen ist, wird nicht mehr ein solches Einvernehmen zu erreichen sein. Das liegt nicht nur daran, dass die Umsetzung allgemeiner Grundsätze auf konkrete Handlungen schwer fällt, sondern auch daran, dass man sich zunächst über die Ursachen dieser Katastrophe klar werden muss und es sich dabei nicht zu einfach machen darf.
Diejenigen, die die Katastrophe unmittelbar verursacht und brutal umgesetzt haben, waren Deutsche. Hitler hat 1939 eine Maschinerie zur Ermordung von unschuldigen Menschen in Gang gesetzt. Die ideologische Vorbereitung begann aber schon viel früher.
Warum hat sich die deutsche Bevölkerung dagegen nicht gewehrt? Wie konnte jemand, der so Unmenschliches verkündet an die Macht kommen?
Ich kann heute nur einen wesentlichen Aspekt herausgreifen, der zu dieser Entwicklung mit beigetragen hat. Dieser besteht darin, dass der Gedanke der Euthanasie nicht erst von den Nazischergen geboren wurde, sondern bereits tief im menschlichen Denken verwurzelt war.
Bereits in der Antike stritten die Philosophen über das Thema Euthanasie. Während Seneca (um 4 v.Chr. - 65 n.Chr.) wie selbstverständlich von der Ausmerzung Minderwertiger sprach, lobte Platon ( 428 v.Chr. - 347 v.Chr.) in seinem Werk "Die Republik III" den Asklepios , weil der sich geweigert hatte, das Leiden von Kranken zu verlängern. Ich will damit nur sagen, dass das Menschenbild, das letztlich zu der Entscheidung führt, ob Menschen über das Leben anderer Menschen entscheiden dürfen, nicht erst mit der Machtergreifung des Nationalsozialismus begann.
In der damaligen Zeit erhielten diese Diskussionen einen besonderen Aufschwung, - nicht nur in Deutschland. Das Erschütternde ist, dass nicht nur Menschen mit einer "Schlächternatur" dem Ansatz folgten, dass es lebenswertes und lebensunwertes Leben gibt. Es gab auch Täter, die meinten, dass sie den Menschen mit einem Handicap und der Menschheit insgesamt dienen, wenn sie in der Euthanasie eine Lösung sahen.
Das war für einige Angehörige medizinischer Berufe wohl der maßgebliche Grund, sich an der Ermordung von Menschen zu beteiligen und weist darauf hin, dass wir auch heute sehr wachsam sein müssen, wenn es um die Diskussion des Menschenbildes geht.
Besondere Popularität gewann der Euthanasiegedanke auch durch die damalige Wirtschaftskrise. Auch hier wissen wir heute, dass derartige, fatale Entwicklungen unterstützende Rahmenbedingungen sind, die sich nicht nur auf die Vergangenheit zu beziehen lassen.
In Zeiten einer Krise sind Ressentiments gegen Minderheiten leichter zu schüren. Das gelingt umso leichter, je anonymer die Minderheit ist. Minderheiten, die in meinen unmittelbaren Verantwortungsbereich fallen, sind Menschen mit einer psychischen Erkrankung oder einer geistigen Behinderung. Entgegen der damaligen Praxis hat Mecklenburg-Vorpommern immer darauf gesetzt, gerade auch diese Menschen in die Gemeinden zu integrieren.
(Das ist Bestandteil unserer Koalitionsvereinbarung.)In den Bereichen, in denen das Ministerium unmittelbar handeln kann, wie z. B. im Krankenhausbereich, wird diese Integration direkt umgesetzt. So verdoppelte sich die Zahl der Tagesklinikplätze seit dem Jahr 2005. Die neuen Plätze sind vorrangig in Orten angesiedelt, in denen bisher kein Behandlungsangebot eines Krankenhauses bestand. In anderen Bereichen wird die Weiterentwicklung von Konzepten der Integration in die Gemeinde durch Modellprojekte gefördert.
Ein weiterer Bereich, der einer breiten und intensiven Auseinandersetzung bedarf, ist die Diskussion um die Sterbehilfe. Der Begriff "Sterbehilfe" muss in dieser Diskussion von dem Massenmord in der NS-Zeit klar abgegrenzt werden. Gleichwohl ist aber auch bei einer gesetzlichen Regelung zur aktiven Sterbehilfe zu befürchten, dass sich ein alter Mensch nahezu verpflichtet fühlt, seine Umgebung von der "Last seiner Hilfsbedürftigkeit" zu befreien, wenn ihm doch offiziell dazu der Weg bereitet ist. Damit ist dieser Mensch auch nicht mehr frei in seiner Entscheidung.
Zudem besteht auch die Gefahr, wieder ein Menschenbild aufleben zu lassen, das dem Wert des Lebens von Menschen unterschiedlich bemisst. Wohin das führt, haben wir in Deutschland leidvoll erfahren.
Jeder muss sich fragen, was er in seinem beruflichen und privaten Umfeld tun kann, um rassistischem und rechtsextremem Gedankengut zu begegnen, das einen Gedenktag wie den heutigen erforderlich macht.
Vaclav Havel hat Recht, wenn er sagt: "Der Nachteil der Demokratie besteht darin, dass sie denjenigen, die es ehrlich mit ihr meinen, die Hände bindet. Aber denen, die es nicht ehrlich meinen, ermöglicht sie fast alles." Genau das zeigt sich allzu oft auch im Umgang mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Und zwar dann, wenn antisemitische, rechtsextreme, revisionistische bis hin zu eindeutig neonazistischen Aussagen hinter der Meinungsfreiheit versteckt werden. Dann, wenn historische Fakten über den Holocaust bewusst falsch dargestellt werden. Die bloße Annäherung an dieses zutiefst antidemokratische Gedankengut ist entschieden abzulehnen. Es gilt klar Position zu beziehen. Gerade für Politikerinnen und Politiker.
Seien wir uns bewusst: Gedenken ist mehr als Erinnerung. Gedenken heißt Verpflichtung zum Handeln. Gedenken heißt Aufbegehren gegen Gleichgültigkeit. Menschenrechte müssen täglich neu gelebt, neu erkämpft werden.