Seit 1996 begehen wir in Deutschland den 27. Januar als einen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. "Es sei wichtig", so der damalige Bundespräsident Roman Herzog, von dem die Anregung zu solch einem Tag des Gedenkens ausging, "nun eine Form des Erinnern zu finden, die in die Zukunft wirke. Sie soll die Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken".

Und so wollen wir heute gemeinsam erinnern an den Tod von Millionen von Menschen, an Verfolgung, Terror und grenzenloses Leid - wollen uns gemeinsam und jeder für sich in Erinnerung rufen, was einst geschah, als Gewalt, Terror, Menschenverachtung und Mord Einzug in Deutschland und Europa hielten - wollen uns bewusst machen und zu begreifen versuchen, wie es zu dem Geschehenen im 20. Jahrhundert kommen konnte und wohin es führt, wenn Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt gegenüber Andersdenkenden, Menschen anderer Herkunft und kranken und schwachen Menschen herrschen.
Und wir wollen hier heute gemeinsam an den Tod jener tausenden Menschen erinnern, die aufgrund ihres Andersseins, aufgrund ihrer Krankheit oder Behinderung zu Opfern von Zwangssterilisationen und des nationalsozialistischen "Euthanasie"-Programms wurden.
- Es fällt mir nicht leicht, an dieser Stelle Begriffe der nationalsozialistischen Terminologie zu gebrauchen. Ich halte dieses hier aber für erforderlich, um das Ausmaß der Menschenverachtung der faschistischen Ideologie zu verdeutlichen. -
Euthanasie - heute denkt wohl kaum jemand an den ursprünglichen Sinn dieses Wortes. Die Geschehnisse zur Zeit des Nationalsozialismus in den Jahren 1933 bis 1945 brachte jedoch eine Wandlung, gar eine Pervertierung des Begriffs "Euthanasie" mit sich.
Den "Schönen Tod", so die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, die Erleichterung des vom Betroffenen ausdrücklich gewünschten Sterbens durch das Verabreichen von Medikamenten, machten die Nationalsozialisten zu einem systematischen Massenmord an Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen. Diesem Massenmord fielen Zehntausende zum Opfer.
Während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft besaß der Einzelne keine Bedeutung, es zählte nur der so genannte "gesamte Volkskörper". Unheilbar kranke Menschen, Menschen mit Behinderungen oder nur als solche von Ärzten eingestufte Menschen gerieten neben tatsächlich oder vermeintlich durch Straftaten auffällig gewordenen Frauen, Männer und Kinder als erste in die Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten.

Schon kurze Zeit nach der Machtübernahme Hitlers und der Nationalsozialisten begannen diese, verschiedene Gesetze zu erlassen, um - so die Terminologie der Nationalsozialisten - das "arische Volk vor Gefahren und Verunreinigungen" zu bewahren. Liebesbeziehungen und Ehen zwischen Ariern und Juden wurden gesetzlich verboten. Gesetze sollten künftiges so genanntes "lebensuntüchtiges" und "unwertes Leben" beispielsweise durch massenhaft angewandte Zwangssterilisationen verhindern. Das bis dahin überwiegend geltende ärztliche Selbstverständnis wurde aufgeweicht und führte zum Bruch der ärztlichen Schweigepflicht und des hippokratischen Eides, mit dem Ziel der so genannten "Verbesserung von Erbgut und Rasse des deutschen Volkes".
Der von den Nationalsozialisten aufgegriffene und bis zur Perversion betriebene Euthanasiegedanke basierte auf deren Überzeugung, dass es lebenswertes und lebensunwertes menschliches Leben gäbe.
Bereits 1931 hieß es beispielsweise auf SS-Propagandaplakaten, dass "ein Erbkranker bis zur Erreichung des 60. Lebensjahres im Durchschnitt 50.000 Reichsmark koste" mit dem Hinweis: "Volksgenosse, das ist auch Dein Geld!" Nach 1933 wurde den Kindern schon in den Schulen nahe gebracht, dass bestimmte Menschen weniger wert seien, als andere. So wurde in Schulbüchern vorgerechnet, wie viel Taubstumme, Krüppel, Geisteskranke oder Verbrecher täglich kosteten. Dem wurde gegenübergestellt, dass ein Arbeiterehepaar zur täglichen Bestreitung des Lebensunterhaltes nur annähernd gleich viel zur Verfügung habe. Im Jahr 1940 - rückdatiert auf den l. September 1939 erließ Hitler den berüchtigten "Führererlass" mit Anordnungen an Ärzte, der allen unheilbar Kranken den - so die Formulierung - "Gnadentod" ermöglichen sollte. Die Rückdatierung auf den l. September 1939 macht deutlich, dass mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges auch der innere Krieg gegen die Menschen eine neue Stufe erreichte. Ein innerer Krieg gegen Menschen, die dem Rassenideal der Nationalsozialisten nicht entsprachen und in den Augen der Nationalsozialisten als gesellschaftlich und volkswirtschaftlich "schädlich" und "wertlos" galten.
Dieser nationalsozialistischen Rassenideologie folgend wurde jenen Menschen das Recht auf Leben abgesprochen, da sie angeblich die so genannte "Volksgesundheit" gefährdeten, volkswirtschaftlich "nutzlos" waren und dem Staat Kosten bereiteten. Der Tod jener so genannter "unheilbar Blödsinniger" würde nach Ansicht des damaligen Strafrechtlers Karl Binding und des Psychiaters Alfred Hoche gar nicht einmal "die geringste Lücke reißen", so deren Formulierung.
Unter der Tarnbezeichnung "T4" - benannt nach dem Sitz der Organisationszentrale in der Berliner Tiergartenstraße 4 - setzten schließlich die Nationalsozialisten Philipp Bouhler, Leiter der "Kanzlei des Führers", und Hitlers Leibarzt Karl Brand mit Unterstützung von Ärzten, Pflegekräften und Verwaltungsbeamten in verschiedenen Tötungsanstalten in Deutschland den Massenmord an geistig Behinderten und anderen so genannten "unerwünschten Elementen" um.
Die vielen tausende durch Vergasung, Injektionen oder gezieltes Verhungern getöteten Opfer wurden sofort eingeäschert, um Untersuchungen durch Angehörige, aber auch durch misstrauisch gewordene, nicht in das "T4-Programm" eingeweihte Richter, Ärzte und Anstaltsinsassen zu unterbinden. Die Angehörigen erhielten Schreiben mit fingierten Todesursachen und Sterbeorten.

Obwohl die "Euthanasie"-Aktion als so genannte "geheime Reichssache" behandelt wurde, ließ sich die Ermordung von zehntausenden Kranken und Behinderten auf Dauer nicht geheim halten. Die eindeutig falschen Angaben zur Todesursache, aber auch die in kurzer Zeit ansteigende Sterblichkeit der Insassen der Heil- und Pflegeanstalten von bis zu 45 %, weckten das Misstrauen. Proteste von Teilen der Kirche und der Bevölkerung bewirkten schließlich, dass Hitler das "Euthanasie"-Programm offiziell einstellen ließ. Dennoch starben anschließend noch tausende Menschen in geheim weitergeführten Tötungsaktionen.
Genaue Opferzahlen gibt es keine, auch weil viele Unterlagen und Krankenakten zum Ende des NS-Regimes von den Tätern vernichtet worden sind. Insgesamt wird jedoch geschätzt, dass zwischen 1939 bis 1945 ca. 300.000 Menschen den "Euthanasie"-Krankenmorden zum Opfer fielen, ca. 400.000 Frauen und Männer wurden zwangssterilisiert.
Auch von der Rostocker Nervenklinik aus wurden während der Nazi-Diktatur psychisch kranke Menschen abtransportiert und in den Tod geschickt - auch von diesem Ort gingen Leid und Tod aus.
An jene Opfer der systematischen Sterilisation und Tötung wollen wir heute erinnern. Die Erinnerung und Mahnung soll und darf aber nicht auf besondere Gedenktage beschränkt sein. Mit dem vom Künstler Christian Cordes geschaffenen Mahnmal soll an dieser Stelle täglich und immer wieder erinnert und gemahnt werden, damit sich solche Gräueltaten nie wiederholen!

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Die Gefahr des Vergessens und der Blindheit ist bereits real, und auch Mecklenburg- Vorpommern ist hiervon nicht ausgenommen. In Deutschland gibt es antisemitische, rassistische und undemokratische Entwicklungen und es ist beschämend, dass dieses Gedankengut in unserem Land Raum finden kann - in einem Land, von dem einst die größten Verbrechen gegen Menschlichkeit im vergangenen Jahrhundert ausgingen.

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Als Folge aus der Erinnerung und mit der Erkenntnis, dass wir Menschen in der Lage sind, unsere gesamte zivilisatorische Erfahrung zu vergessen und Unseresgleichen massenhaft zu terrorisieren und zu morden, muss jeder in seinem Handeln und Denken bemüht sein, die Einzigartigkeit eines jeden Lebens und die unveräußerliche Würde jedes Menschen zu akzeptieren und das Gebot der Hilfe und Mitmenschlichkeit mit Leben zu erfüllen. Mit dem Wissen um die Vergangenheit muss jeder von uns das Wort erheben, wo Unrecht geschieht und Vorurteile - manchmal sogar in militanten und gewalttätigen Formen - das Bewusstsein der Menschen zu prägen und ihr Handeln zu bestimmen drohen.
Es ist an uns, dafür zu sorgen, dass das ethische und moralische Fundament, auf das sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes noch unter dem unmittelbaren Eindruck der Verbrechen des Nazi-Regimes verständigt haben, nie mehr in Frage gestellt oder verwässert wird.

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und so ist ein Tag wie der heutige ebenso ein kleiner Schritt, durch den wir uns erneut die besondere Verantwortung Deutschlands vor Augen führen, dass die Vergangenheit, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten, sich nicht wiederholen dürfen. Wir sind es, die es in der Hand haben, alles dafür zu tun, damit sich derartiges nicht wiederholt. Das Wachhalten der Erinnerungen und die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, die Gedenken und Trauer einschließt, sind zugleich Voraussetzungen für ein verantwortliches Handeln in Gegenwart und Zukunft.

Doch blicken wir am heutigen Tag nicht nur in die Vergangenheit, sondern gleichzeitig auf den vor uns liegenden Weg, auch in Zukunft der Verpflichtung Deutschlands gerecht zu werden, die Erinnerung an die Geschehnisse zu bewahren und dem Antisemitismus und Rechtsextremismus entgegen zu treten. Dieser Weg hat kein Ende - er ist endlos und auf immer angelegt. Denn die Gefahren für Frieden, Demokratie, Toleranz, gegenseitige Anerkennung, Respekt vor dem Anderssein sind allgegenwärtig. Es sind leicht verletzbare Güter. Diese vertragen keine Gleichgültigkeit und müssen immer wieder aufs Neue durch das verantwortungsbewusste Handeln eines Jeden von uns gestärkt und erneuert werden.

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