Kasernen für Himmler

Durch den relativ unkomplizierten Verlauf der Kinder - Aktion ermutigt, planten die Faschisten die Vernichtung erwachsener Geisteskranker.
Diese Aktion erhielt nach dem Sitz der Organisationszentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, die Tarnbezeichnung "T4".
Auf der Basis eines persönlichen Erlasses Hitlers vom September 1939 konnten dann ohne gesetzliche Grundlagen viele Tausende Menschen getötet werden.
Die Tötungen erfolgten meist durch Gas (die nach Anweisung Hitlers von einem Arzt vorgenommen werden mußten) oder durch Injektionen. Zur Verschleierung ihrer Verbrechen richteten die Mörder Scheinstandesämter ein, die Totenscheine mit erdachten natürlichen Todesursachen ausstellten. Die eingerichteten Trostbriefabteilungen benachrichtigten die Angehörigen.

Die Aktion blieb nicht auf Geisteskranke beschränkt. Es wurden Juden, Zigeuner, erkrankte Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und politische Gefangene im Rahmen dieser Aktion ermordet.
Getötet wurden von Januar 1940 bis 1941 in den Anstalten Brandenburg - Görden, Bernburg, Pirna (Sonnenstein), Grafeneck und Hadamar über 70 000 Menschen. Nach 1941 wurden die Methoden und das Personal in die Konzentrationslager übertragen.

Im Vordergrund
Schwede-Coburg
Etwas anders verlief die Tötungsaktion in der Provinz Pommern.
Nach Kriegsbeginn hatte der Gauleiter der NSDAP, Oberpräsident und Reichsverteidigungskommissar der preußischen Provinz Pommern Franz Schwede - Coburg, den Entschluß gefaßt, die ihm unterstehenden Heil- und Pflegeanstalten anderen Zwecken zuzuführen. Er bot sie Himmler als Kasernen an. Schwede - Coburg kooperierte dabei eng mit den Gauleitern des Warthelands und Ostpreußens.

Schwede - Coburg, ein enger Vertrauter Hitlers, führte seine eigenen Maßnahmen zur Vernichtung der Kranken durch. Die erste Anstalt Deutschlands, die dann Himmler übergeben wurde, war die Stralsunder Anstalt.
Die Patienten wurden im Herbst 1939 in andere Anstalten verlegt oder direkt der Erschießung im Wald von Piasznicz bei Neustadt (heute Weijherowo) zugeführt. Gauleiter Schwede - Coburg könnte sogar selbst die Evakuierung eingeleitet haben.

Heute noch lebende Schwestern und Pfleger erinnern sich nur sehr schwach an diese Zeit. Ihnen ist bekannt gewesen, daß ein Teil der Patienten irgendwo getötet werden sollten. Ein Teil der Pflegekräfte ging mit den Patienten in andere Einrichtungen, ein großer Teil wurde zur Wehrmacht eingezogen.

Der Oberpfleger Jobst kam zur Wojewodschaftspsychiatrischen Anstalt Dzienkanka (dann Tiegenhof) in der Nähe von Gnesen (heute Gniezno). Er "sortierte" die Patienten in der "Sammelstelle" Tiegenhof zur Vernichtung bzw. zur Arbeit aus.
Die Ärzte wurden von anderen Anstalten übernommen.
Dr. Gerhardt verweigerte seinen Einsatz in der Tötungsanstalt Meseritz - Obrawalde und ließ sich zum Wehrdienst einziehen.
Nach 1945 baute er die Psychiatrie in Stralsund wieder auf.

Aus den noch vorhandenen lückenhaften Hauptbüchern der Stralsunder Anstalt geht hervor, daß ab Sommer 1939 die Stralsunder Patienten weitgehend nach Hause entlassen wurden.
Die schwerkranken und pflegebedürftigen Stralsunder Kranken kamen nach Ueckermünde.
Aus dem Hauptbuch der Frauen ist ersichtlich, daß vom 17.11 .bis 14.12.1939 neun Transporte mit 597 Frauen in die Anstalten, Lauenburg, Ueckermünde, Treptow und Kosten abgingen. Aus den dortigen Hauptbüchern kann die weitere Bewegung der Transporte ermittelt werden. So wurden z. B. am 9.12.1939 87 Kranke nach Lauenburg verlegt. Dort erfolgte sofort der Weitertransport für 23 Frauen nach Treptow, 16 nach Obrawalde, 1 nach Ueckermünde, 5 in andere Anstalten und 1 Kranke wurde entlassen.
Die Verlegung der Männer kann nicht so gut verfolgt werden. In Treptow kamen am 12. und 13.12.1939 129 Männer aus Stralsund an. Davon wurden dann 32 nach Obrawalde, 11 nach Ueckermünde, 42 nach Kosten, 20 in andere Anstalten gebracht, 14 entlassen, 1 Patient verstarb. Durch diese kurzfristigen Verlegungen war es den Angehörigen kaum möglich, Verbindung zu halten.

Die Provinzial - Heilanstalt Lauenburg wurde Anfang Februar 1940 aufgelöst.
Im März 1940 übernahm die SS auch diese Einrichtung.
Der größte Teil der Patienten wurde in der Anstalt Meseritz -Obrawalde getötet. Auch hier sind die Transporte und deren Zusammenstellung nachvollziehbar.

Im Sommer 1941 wurde dann die Provinzial - Heilanstalt Treptow zum Lazarett umfunktioniert. Fast alle Kranken kamen nach Meseritz-Obrawalde zur Tötung. Aus der Anstalt wurden insgesamt 910 Männer und 1104 Frauen verlegt. Ein ehemaliger Kriegsverwundeter aus Stralsund erinnerte sich, daß ihm und seinen Freunden aufgefallen sei, daß auf dem Anstaltsfriedhof sehr viele frische Gräber zu Beginn der Lazaretteröffnung zu sehen waren.

Aus dem Hauptbuch dieser Anstalt ist auch zu entnehmen, daß es dort gefangene Franzosen, Polen und Belgier gab, die z. T. über Obrawalde getötet wurden.