Es war Massenmord
Von den vier großen psychiatrischen Anstalten in Pommern bestanden 1941 nur noch die
Anstalt in Ueckermünde, nachdem ein Teil der Kückenmühler Anstalt 1941 ebenfalls der SS
übergeben werden musste. Auch die an Pommern grenzenden Anstalten wie Konradstein bei
Danzig mit etwa 2000 Betten wurden aufgelöst. Wohin aber mit den Patienten? Im Herbst
1939 begann die systematische Tötung der Kranken im Wald von Piasznicz.
Ernst Klee beschrieb in seinem Buch "Euthanasie im NS - Staat" u. a. den Prozess gegen den
ehemaligen SS - Sturmbannführer Kurt Eimann, der die Erschießungen im Wald von
Piasznicz leitete. Dazu wurde ein Sonderkommando SS - Leute ausgesucht. Polnische
Häftlinge des KZ Stutthof mussten die Massengräber ausheben, später wurden auch sie
erschossen.
Eimann, der nicht von seinen Männern verlangen wollte, was er selbst nicht tat, erschoss das
erste Opfer. Er schilderte in seinem Prozess freimütig die Exekution: "Der Transportzug
brachte etwa 120 Geisteskranke. Sie wurden von mir am Bahnhof in Empfang genommen ...
Die Kranken wurden dann durch die SS - Männer auf Lastkraftwagen geladen, die meiner
Truppe zur Verfügung standen. Die LKW fuhren dann bis auf 50 m an die Erschießungsstelle
heran. Dort ließ ich die Kranken einzeln aussteigen. Jeweils zwei SS - Männer führten den
Geisteskranken bis an den Rand der Grube, ein dritter SS - Mann folgte mit einer Pistole 08.
Am Grubenrand schoss der dritte SS - Mann dem Kranken mit der Pistole in das Genick, so
daß er in die Grube fiel. Dieser Vorgang wiederholte sich einzeln hintereinander bei
sämtlichen Kranken des Transports." Die Exekutionen im Wald von Piasznicz dauerten
mehrere Wochen an.
Wie viele Menschen vom Sturmbannführer Eimann tatsächlich getötet wurden, und woher die
Transporte kamen, ist nicht geklärt. Es gibt eine "Leistungsbilanz" des SS - Wachsturmes E,
und darin steht unter Punkt 4 "zur Beseitigung von 1400 Geisteskranken aus pommerschen
Irrenanstalten" und unter Punkt 5 "zur Beseitigung von ca. 2000 unheilbar Geisteskranken der
Irrenanstalt Konradstein".
Die Tötung der Geisteskranken begann in Deutschland mit Einzelerschießungen ebenso wie
die Vernichtung der Juden mit Einzelerschießungen begann. Wann die Vernichtung der
Kranken in der Vemichtungsanstalt Meseritz - Obrawald (heute Miedzyrzecz) einsetzte, ist
unsicher. Anfang Dezember 1939 wurden aus der Anstalt die ersten jüdischen Patienten von
der SS abgeholt und nach "dem Osten evakuiert". Das ganze Ausmaß der Massentötungen ist
wohl nie zu erfassen. Am 16. Februar 1945 traf eine Kommission der 16. Einheit der
sowjetischen Luftwaffe in der Heilanstalt ein. Es lebten etwa noch 1000 Patienten. Die
Militärärzte waren fassungslos über das, was sie zu sehen bekamen. Es wurden Massengräber
entdeckt, in einem Raum waren einige tausend Urnen deponiert. Gerichtsmedizinische
Experten der I. Belorussischen Front fanden noch über 2000 Ampullen Skopolamin, weit über
1000 Ampullen Morphium, 200 Ampullen Evipan. Im Berichtsprotokoll ist zu lesen: "Ferner
fanden wir ein ... Sterberegister, das wahrscheinlich nicht das einzige seiner Art war. In
diesem Buch war die letzte Todeseintragung unter der Nummer 18.232 (30.1.1945) registriert
... In einem Register wurde darauf hingewiesen, daß im Jahre 1944 in das Krankenhaus
Obrawalde (vielleicht nur in eines der Gebäude - d. V.) 3948 Kranke eingeliefert wurden, von
denen 3814 später starben". Nach Stichproben war ersichtlich, dass 98,5 Prozent der
angekommenen Patienten Deutsche waren. Die festgenommene Schwester Ratajczak gesteht,
im Laufe von drei Jahren 2500 Frauen getötet zu haben. Insgesamt wird die Zahl der Toten
auf 18 000 geschätzt.
Die Patienten wurden nicht nur nach Meseritz - Obrawalde geschickt, sondern die Ärzte und
das Pflegepersonal suchten sich die Patienten in den noch bestehenden Anstalten aus. Eine
Schwester berichtete über diese Vorgänge in Ueckermünde. "Wöchentlich tauchte der Wagen
der uniformierten Ärzte in Ueckermünde auf. Die Patienten verschwanden dann nach
irgendwo hin ... Die Kommission ging mit dem Leiter der Anstalt oder einem Vertreter durch
die Häuser und wählte die zu tötenden Patienten aus. Betroffen waren die Patienten, die das
Bett nicht verlassen und flüchten konnten. Nachdem der Wagen abgefahren war, kamen die
Kranken wieder aus ihren Verstecken heraus".
In den Krankenhäusern wurden viele tausend Menschen ermordet. Mit Hilfe der Ärzte und
Pflegekräfte mussten unheilbar Kranke, andersrassige Menschen aber auch andersdenkende
Menschen sterben. Viele Fragen bleiben offen. Wir wissen nicht welche Patienten im Wald
von Piasznicz erschossen wurden. Wir wissen nicht genau, welche Patienten nach den
Zwischenstationen Lauenburg, Treptow und Ueckermünde in Richtung Obrawalde zur
Tötung abtransportiert worden sind. Wir wissen nur, daß von den ca. 1200 Patienten der
Stralsunder Heilanstalt sehr wenige die Zeit des Faschismus überlebten. Der Genetiker Müller
- Hill aus Köln bezeichnete diese rassenpolitischen Maßnahmen als Atombombe der
Genetiker im faschistischen Deutschland.
Auch heute gibt es wieder Meinungen, dass Menschen mit bestimmten Erkrankungen oder
unheilbar Kranke getötet werden sollten, dass die Gefahr einer Entartung der Menschheit
bestehe. Die Wissenschaft hat aber längst bewiesen, daß diese Gefahr nicht besteht und die
Notwendigkeit einer Verbesserung der Art Mensch durch eugenische Maßnahmen überflüssig
ist.
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